Prof. Dr. Dörner in Nürnberg

Pflegeheim – nur über meine Leiche

Leben und Sterben, wo ich hingehöre – Plädoyer für den dritten Sozialraum

Vortrag von Prof. Dr. Dörner am 27. September 2010 auf Einladung der grünen Bezirkstagsfraktion Mittelfranken

(Nürnberg / 27. Sept. 2010) – Der Hamburger Professor Klaus Dörner macht Pflegeheime überflüssig – in seiner Zeit als Chefarzt hat er es vorgemacht. Die immensen Kosten, die man benötigt um im Heim Menschen zu pflegen und Kontakte aufzubauen könnte man sparen, wenn man ein „ganz normales“ Umfeld schafft und nur gezielt in einigen Bereichen unterstützt. Die Länder Norwegen und Schweden machen es bereits vor – dort sind Heime fast abgeschafft. Auf Einladung der Bündnisgrünen im Bezirkstag Mittelfranken stellte der Visionär seine Ideen in Nürnberg vor – auch viele Pflegefachkräfte waren der Einladung interessiert gefolgt.

Vortrag von Prof. Dr. Dörner in Nürnberg am 27. September 2010

Klaus Dörner hatte eine Vision, als er in Gütersloh die Stelle als Chefarzt in der psychiatrischen Klinik antrat: Rund zehn Prozent der Langzeitpatienten wollte er in ambulanten Wohnformen unterbringen, es waren geistig Behinderte und psychisch kranke Menschen. Damit begann nicht nur für ihn ein bemerkenswerter Umdenkprozess, an dessen Ende alle 435 Langzeitpatienten ausnahmslos ambulant untergebracht waren.

Der Erfolg dieser Idee liegt in einer entscheidenden Richtungsänderung: „Vorher habe ich immer gedacht, der Behinderte steht im Mittelpunkt“, erinnert sich Dörner. „Wie ich darüber nachgedacht habe, hatte ich festgestellt, dass das gar nicht gut tut.“ Seine Grundidee: Man muss sich viel mehr um die Betreuenden kümmern, als um die Betroffenen selbst. So hat er mit Projekten, unter anderem mit Schulen und viel Öffentlichkeitsarbeit, systematisch die Entstehung eines sozialen Netzwerkes in Gütersloh angestoßen. Den Erfolg hatte Dörner zuvor selbst nicht für möglich gehalten. Solche sozialen Netze entstehen im Kleinen, etwa in Dorfgemeinschaften oder in Stadtteilen. „Da wird dann nicht mehr von den Behinderten gesprochen, sondern von unseren Behinderten“, begeistert sich der Professor noch heute.

Das soziale Drumherum war letztendlich der Erfolgsfaktor für das Projekt. Nur die Unterbringung in eigenen Wohnungen hätte nicht funktioniert. Während die Betroffenen in den Heimen zu 80 Prozent nur Kontakt zu Pflegekräften hatten, haben sie in den ambulanten Wohnpfle-gegruppen ganz normale soziale Kontakte aufgebaut, dazu gehören auch Alltagskontakte zum Bäcker, Friseur oder Verkäufer. „Davon habe ich 25 Jahre geträumt – von der Selbstbestimmung – hat mir eine Patientin erzählt“, erinnert sich Dörner. „Doch nach einem Monat Selbstbestimmung hält man die auch nicht mehr aus. Jeder braucht eine Tagesdosis Bedeutung.“ So entstand auch die Idee des Industriecafes. Dort können die Bewohner sich einfach nur zum Kaffeetrinken treffen, dort können sie aber auch stundenweise leichte Arbeiten ausführen und bekommen dafür einen Lohn bar auf die Hand. Die Arbeit ist ohne Leistungsdruck – jeder kann machen was er kann und will. „Ohne Druck von außen wächst der innere Druck und die Menschen kommen immer öfter und arbeiten immer länger“, stellt Klaus Dörner fest. „Das ist Integration.“

Insgesamt findet Dörner die ambulante Versorgung von Behinderten und psychisch Kranken gleich aus mehreren Gründen besser, als die Unterbringung in Heimen: Die hohen Kosten für die „Monokultur Heim“ kann die Gesellschaft seiner Meinung nach bald nicht mehr aufbringen, in Wohngruppen entfallen die Kosten für kochen oder putzen, da das die Bewohner gemeinsam selbst erledigen können. Außerdem ist das Leben in den eigenen vier Wänden für die Betroffenen viel menschenwürdiger, als im Heim.

Seit 1996 ist Klaus Dörner in Ruhestand, seitdem hat sich auch in der Gesellschaft viel getan. Allein in Bielefeld gibt es mehr als 70 verschiedene Wohnpflegegruppen – alle ein bisschen anders. Er selbst kann es sich nicht erklären, aber es gibt wieder mehr ehrenamtliches Engagement – statistische Zahlen belegen dies. „Es gibt mehr Ehrenamtliche, Nachbarschaftsvereine, Hospizbewegungen oder Bürgerstiftungen“, zählt Dörner auf. Alles Faktoren, die die ambulante Versorgung überhaupt möglich machen. Und nach Umfragen von Meinungsforschungsinstituten gibt es in der Bevölkerung etwa ein Drittel, die noch nicht aktiv sind, sich aber durchaus vorstellen können, ehrenamtlich zu arbeiten.

Als Rentner hat sich Klaus Dörner ein neues Projekt vorgenommen: Nun engagiert er sich für ambulante Wohngruppen für Senioren, die Altenheimen weitestgehend überflüssig machen würden. In den verschiedensten Städten und Gemeinden sind bereits eigene Projekte entstanden. „Einige Bürgermeister empfinden solche Wohngruppen inzwischen als einen Standortvorteil, nicht nur weil sie pflegende Angehörige entlasten.“, freut sich Dörner. „Das lockt sogar Investoren an.“

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